RE: Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte

#11 von Sonnenstrahl , 23.09.2021 13:19

Nein, danke

Wieder an der frischen Luft, war ich erleichtert, dass ich ihm alles sagen konnte, was ich ihm zu sagen hatte. Ich ging nach Hause, packte meine Sachen und wollte fort in eine andere Stadt, nur weit weg von hier. Ich rief meinen Vermieter an und kündigte meine Wohnung. Zwei Monate dauerte es noch, bis ich einen Nachmieter fand, der auch meinem Vermieter zusagte, dann zog ich aus. Ich wollte erst einmal etwas von der Welt sehen, so ließ ich mich von einem Taxi zum Flughafen fahren. Dort las ich mir den Abflugplan durch und suchte das weiteste Ziel daraus aus:
Neuseeland! Und von dort aus weiter. Ich holte mir das Ticket.
Abflug war morgens, ganz früh, am nächsten Tag. Der Flug dauert 39 Stunden, allerdings sind drei Stopps mit eingeplant. Also übernachtete ich im Flughafenhotel. Da ich einige Ersparnisse hatte, die ich mir im Laufe der Zeit angespart hatte, konnte ich mir die Übernachtung leisten. Ich lief in die Hotelbar und spendierte mir einen Drink, dann noch einen und noch einen. Später sank ich ins Bett und war sofort weg. Den Handywecker stellte ich mir vorher noch auf 04.00 Uhr, da der Abflug um 06.15 Uhr war.


Glaube, Liebe, Hoffnung : Glaube, liebe Hoffnung !

Sonnenstrahl  
Sonnenstrahl
Beiträge: 532
Registriert am: 15.04.2011

zuletzt bearbeitet 23.09.2021 | Top

RE: Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte

#12 von Sonnenstrahl , 23.09.2021 13:19

Mein Handy klingelte, doch es war schon 08.32 Uhr als ich aufwachte. „Mist, verdammter, ich habe verschlafen!“ Doch warum klingelte mein Handy, wenn es nicht der Wecker ist? Die einzige Erklärung war, es rief jemand an. Ich schaute auf´s Display und sah, dass mein Vater anrief. „Oh Gott, was will der denn jetzt?“ dachte ich. Ich ärgerte mich, weil ich verschlafen hatte und dann noch über meinen Vater, also ging ich nicht ans Telefon. Ich musste erst einmal duschen, um zu Verstand zu kommen. Der Streit zwischen meinem Vater und mir ging mir sehr an die Nieren. Nachdem ich geduscht hatte, ging es mir etwas besser.
Ich frühstückte im Hotel, mit Kaffee und Brötchen. Ich versuchte mein Ticket zurück zu geben, allerdings war das nicht möglich, da es meine Schuld war, dass ich den Flug verpasst habe. „Na gut,“ dachte ich, „dann eben nicht.“ Meine Koffer ließ ich noch im Schließfach, das ich am vorherigen Tag gemietet habe und lief ziellos durch die Straßen meiner Heimatstadt. Überall rauchten die Schornsteine und der Rauch vermischte sich mit den Sonnenstrahlen, was der Stadt etwas Mysteriöses verlieh. Und genau das Mysteriöse riss mich aus meiner ärgerlichen, ängstlichen und beklemmenden Stimmung und ich überlegte, ob ich nicht meinen Vater zurückrufen sollte. Allerdings hatte ich auch keine Lust wieder zu streiten.


Glaube, Liebe, Hoffnung : Glaube, liebe Hoffnung !

Sonnenstrahl  
Sonnenstrahl
Beiträge: 532
Registriert am: 15.04.2011


RE: Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte

#13 von Sonnenstrahl , 24.09.2021 13:41

Das zweite Angebot

Ich lief zum See, um zu schauen, ob einer meiner Freunde da war, um mit ihm zu reden. Über meinen Vater, über meine Zukunftspläne und über mein Reißaus, das nicht geklappt hat. Leider war keiner da, mit dem ich sprechen konnte. Ich setzte mich auf eine Bank und ließ die Sonne auf mein Gesicht scheinen, das tat gut. Fast schlief ich wieder ein, aber ein Gedanke ließ mich nicht in Ruhe. Vielleicht war mein Vater gut gelaunt und ich könnte mit ihm reden, das wäre klasse. Ich machte mich auf zu ihm. Wahrscheinlich kann ich, bevor ich auf meinen Vater treffe, mit der Sekretärin reden und sie könnte mir sagen, ob er gute oder schlechte Laune hatte.

Als ich wieder am Büro ankam, standen die Sekretärin und mein Vater zusammen und unterhielten sich. Ich stellte mich im Sekretariat hinter einen Schrank, der offenstand und mir gut Platz bot, mich dort zu verstecken und zu lauschen. Es ging wohl um ein paar Buchungsfehler, also nichts Weltbewegendes. Also konnte ich genau so gut aus meinem Versteck kommen und mich für die beiden sichtbar machen. „Johanna, was machst Du denn da? Lauschst Du etwa?“ polterte er los, um gleich darauf in sein Büro zu stürmen, ohne auf mich zu achten. Zuerst schaute ich verdutzt, dann nahm ich all meinen Mut zusammen und kräftig drückte ich die Türklinke zu seinem Büro herunter, sodass er merkte, dass ich mich nicht abweisen lasse. Mein Vater schaute kurz hoch von seinen Unterlagen und meinte nur: „Johanna, was hast du vorhin im Sekretariat gemacht? Und was willst Du jetzt von mir?“ „Ich will nochmal mit Dir reden Papa. Hast Du nicht auch das Gefühl, dass zwischen uns etwas falsch läuft? Ich wollte doch nicht einfach so, ohne Grund, nach Neuseeland fliegen oder meinst Du, dass ich das aus lauter Jux und Dollerei mache? Ich will in Deiner Firma arbeiten, endlich mal etwas tun und nicht nur die Tochter des Fabrikbesitzers sein. Auf die erste Frage ging ich erst gar nicht ein.


Glaube, Liebe, Hoffnung : Glaube, liebe Hoffnung !

Sonnenstrahl  
Sonnenstrahl
Beiträge: 532
Registriert am: 15.04.2011


RE: Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte

#14 von Sonnenstrahl , 24.09.2021 13:43

„Ich wollte in Neuseeland ein neues Leben anfangen, mit Arbeit und vielleicht, wenn möglich, sogar eine Familie gründen. Das muss nicht sein, kann aber...“ erwiderte ich und hoffte, dass ich mit meinen versöhnlichen Worten zu ihm durchdringen konnte. „Johanna“, sagte er, „ich weiß, ich bin manchmal hart zu Dir,...“. Weiter kam er nicht, denn ich unterbrach ihn: „Manchmal? Du meinst wohl immer!“ … „aber“, sagte er weiter, „ich bin auch gerecht.“ Ich schluckte den Ärger herunter, der in mir aufkam, denn ich wollte hören, was er noch zu sagen hatte. „Gut, Du kannst nichts dafür, dass Du als Mädchen geboren wurdest und wir uns einen Sohn gewünscht haben.
Ich habe ein zweites Angebot für Dich. Du fängst bei uns in der Firma an, ganz unten, als Arbeiter, mit einem kleinen Gehalt. Wir beide werden sehen, wie weit Du es bringen wirst. Ich gestehe Dir zwei Fehler zu, beim dritten gehst Du auf mein erstes Angebot ein. Mehr Kompromissbereitschaft von meiner Seite aus kannst Du nicht erwarten! Du kannst es Dir bis morgen überlegen, aber entscheide gut! Und jetzt darfst Du gehen! Halt Johanna! Dein erster Arbeitstag wird übermorgen sein und zwar pünktlich um 06.00 Uhr, unten in der Schuhherstellung.“ Mit einem lauten Knall machte ich die Tür hinter mir zu und rannte raus.

Nachdem ich wieder draußen war, fing ich an zu überlegen. Er hatte mich wieder so abgekanzelt, dass es mir nicht möglich war, ihm zu antworten. Ich überlegte hin und her, wie ich aus der Nummer wieder heraus komme, aber ich kam auf keinen grünen Zweig. Es war doch so, dass ich froh sein sollte, da er mir anbot, als Mädchen bei ihm zu arbeiten. Natürlich wird es sicher nicht einfach, seinen Ansprüchen zu genügen, auch nicht als einfacher Arbeiter, da ich weiß, wie er mit seinen Arbeitern umspringt. Ich stellte mir allerdings auch vor, wie ich mich hocharbeiten werde, von der einfachen Arbeiterin bis hin zur Fabrikbesitzerin. Es sind zwar viele, viele Stufen zu erklimmen, aber es war machbar. Natürlich war ich von beiden Angeboten geschockt, aber zweiteres Angebot war um einiges einfacher zu bewerkstelligen als ersteres.


Glaube, Liebe, Hoffnung : Glaube, liebe Hoffnung !

Sonnenstrahl  
Sonnenstrahl
Beiträge: 532
Registriert am: 15.04.2011


RE: Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte

#15 von Sonnenstrahl , 24.09.2021 13:44

In meiner Vorstellung war ich schon Fabrikbesitzerin... „Tagträumerin,“ sagte ich zu mir, „komm wieder in die Wirklichkeit!“ Zwei Stimmen in mir waren am streiten: „Du schaffst es nicht, Du wirst ihm nicht beweisen können, dass Du als Mädchen ihm genügen kannst!“, sagte die eine und „Du wirst Fehler machen, das kann ich Dir versichern!“ Die zweite meinte dazu: „Probier´s doch aus! Mehr als schief gehen kann es nicht, außerdem hast Du zwei Fehler frei! Und was kannst Du schon falsch machen als einfache Arbeiterin?“
„Du kannst sehr viel falsch machen, auch als einfache Arbeiterin. Was hast Du davon? Du kannst nur verlieren. Und beim dritten Fehler musst Du das erste Angebot Deines Vaters annehmen. Du weißt, was das heißt! Geschlechtsumwandlung!“
„Du weißt aber auch, probieren, geht über studieren! Wahrscheinlich machst Du gar keine drei Fehler. Nimm das Angebot an! Außerdem kannst Du immer noch nach Neuseeland fliegen, auch wenn Du diese drei Fehler machst.“

Ja, ich werde das zweite Angebot annehmen, ich wollte es meinem Vater zeigen. Er hatte zwar keinen Sohn, dafür aber eine Tochter, die wie ein Sohn schuften wird.
Ich kehrte um, machte die Bürotür auf und sagte mit fester Stimme: „Ich nehme Dein zweites Angebot an! Ich weiß, dass ich es schaffen werde!“ Mein Vater hob eine Augenbraue, so als wollte er sagen, dass das noch zu beweisen sei, aber er war erstaunt, dass ich den Mut hatte. „Ich bewundere Dich und Deinen Mut Johanna, aber Du weißt, beim dritten Fehler bist Du meinem ersten Angebot verpflichtet!“ „Ja Papa, ich weiß!“ Damit schloss ich die Tür wieder hinter mir und ging an die frische Luft.


Glaube, Liebe, Hoffnung : Glaube, liebe Hoffnung !

Sonnenstrahl  
Sonnenstrahl
Beiträge: 532
Registriert am: 15.04.2011


RE: Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte

#16 von Sonnenstrahl , 24.09.2021 13:45

Ich wollte in eine Kneipe, um meinen Ärger über Papa herunter zu spülen und auf meinen neu gefundenen Mut zu trinken. Vielleicht war ein Bekannter oder eine Bekannte da, mit dem ich so richtig feiern konnte. Ich ging in die Kneipe neben der Fabrik, in der es mein Lieblingsbier gab. Ja, ab und zu gehe ich gern einen trinken, auch als Mädchen.
Ich traf Maria, die auch gern mal einen trinkt und setzte mich zu ihr an den Tisch, der noch voll mit leeren Biergläsern war, voller Krümel vom Essen von den Gästen vor uns. Die Kneipe war voller Rauchschwaden und Biergeruch hing in der Luft. Ich öffnete ein Fenster ganz weit, sodass etwas frische Luft herein kam.
Ich rief die Kellnerin herbei und sagte, dass sie doch bitte abräumen und die Krümel vom Tisch wischen sollte. Außerdem bestellte ich noch zwei Gläser Sekt für uns beide. „Es gibt etwas zu feiern,“ sagte ich zu ihr, „ich werde übermorgen bei meinem Vater in der Fabrik anfangen, als einfache Arbeiterin.“ „Dein Vater hat Dich eingestellt?“ fragte sie mich verwundert, „er wollte Dich doch nie in der Firma arbeiten lassen, weil Du ein Mädchen bist!?“ „Ja,“ erwiderte ich, „aber ich habe einem Angebot von ihm zugestimmt, dem ich nicht hätte zustimmen sollen, weil es so bösartig ist, aber ich will ihm zeigen, dass ich es schaffen werde! Nein, ich muss anders anfangen. Ich bekam ein Angebot von ihm, dem ich überhaupt nicht zustimmen konnte.
Das erste hieß: „Mach eine Geschlechtsumwandlung durch und Du kannst die Firma später übernehmen.“
Das zweite Angebot war: „Fang bei mir als einfache Arbeiterin an, mach drei Fehler und Du musst das erste Angebot annehmen!“ „Siehst Du Maria, falls ich drei Fehler mache, muss ich mich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, falls ich sie nicht mache, darf ich später die Fabrik leiten. Und ich will die Fabrik unbedingt, wie Du weißt.“
„Was ist denn das für ein Mensch? Er ist brutal und unfair zu Dir und Du lässt Dich noch auf ihn ein, oh man. Ich beneide Dich sicher nicht. Ich bin froh, dass ich nicht so einen Vater habe und auch finanziell unabhängig von ihm bin, auch wenn ich nur im Café gegenüber kellnere. Und das willst Du feiern?“
„Nein, nicht das, ich feiere meinen Mut und mein Durchhaltevermögen, das ich auf jeden Fall brauchen werde. Komm, lass uns anstoßen und trinken! Prost Maria!“
„Prost Johanna, auf Deinen neuen Arbeitsplatz!“
Wir tranken noch einige Gläser Sekt und nachts um 03.00 Uhr fielen wir in unsere Betten.


Glaube, Liebe, Hoffnung : Glaube, liebe Hoffnung !

Sonnenstrahl  
Sonnenstrahl
Beiträge: 532
Registriert am: 15.04.2011

zuletzt bearbeitet 24.09.2021 | Top

RE: Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte

#17 von Sonnenstrahl , 24.09.2021 13:48

Ich träumte schlecht. Bei mir ging alles durcheinander, mein Vater, der sich einer Geschlechtsumwandlung unterzog, ich, der die Bedingungen stellte, damit er arbeiten konnte, Gerry, der mir den Laufpass gab und alle waren fröhlich und haben gelacht.
Maria war auch dabei und hat uns allen Bier gebracht. Was für ein Traum!

Ein Tag noch frei


Nun gut, das war mein letzter freier Tag. Den musste ich gut nutzen, bevor ich in die Höhle des Löwen gehen muss. Ich bin gespannt, wo ich eingesetzt werde. Ob ich die Post verteilen muss oder ob ich irgendwelche Teile eines Schuhs herstelle? Ich weiß es nicht.

Was mache ich heute noch? Ich gehe ein paar mal um den See herum, um den Kopf frei zu bekommen. Ich muss klar denken können. Habe ich einen Fehler gemacht, als ich dem Angebot zugestimmt habe? Schaffe ich das überhaupt, ohne drei Riesenböcke zu schießen? Habe ich den Mumm das durch zu ziehen? Wie werden meine Kollegen und Kolleginnen sein? Werden die mich überhaupt akzeptieren? Ich bin doch nun mal die Tochter des Chefs.

Das Wetter ist gut, sieht zwar ein wenig nach Regen aus, aber das stört mich überhaupt nicht. Diese paar Wolken am Himmel machen mir nichts aus.

Plötzlich stupst mich jemand von hinten an die Schulter. Ganz noch in Gedanken, drehe ich mich herum und sehe in ein Gesicht, das mir fremd und gleichzeitig vertraut vorkommt, weil es einem ähnelt, das ich von früher kenne und ich denke: „Nein, das kann nicht sein! Gerry? Bestimmt nicht!“ Sie umarmte mich und fragte: „Erkennst Du mich nicht? Nein, kann nicht sein, denn ich bin nicht mehr die gleiche Person, die Du gekannt hast... Gerry? Der Name sagt Dir doch sicher noch etwas?!“ „Warum Gerry? Du bist doch weiblich, wenn mich nicht alles täuscht?!“ Ich will mir einen Scherz erlauben und sage: Vielleicht Geraldine?“ Das kommt nicht gut bei ihr an, denn sie dreht sich um und will verschwinden. Ich halte sie an den Armen fest, weil ich nicht möchte, dass sie geht.


Glaube, Liebe, Hoffnung : Glaube, liebe Hoffnung !

Sonnenstrahl  
Sonnenstrahl
Beiträge: 532
Registriert am: 15.04.2011


RE: Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte

#18 von Sonnenstrahl , 24.09.2021 13:49

„Erkläre mir das bitte! Wieso Gerry? Was hat er mit Dir zu tun? Ist er auch hier? Kann ich ihn sehen? Kann ich mit ihm reden? Wo ist er?“ Fragen über Fragen, alles dreht sich in meinem Kopf und jetzt kreisen die Gedanken noch schneller und ich habe das Gefühl, als würde ich ohnmächtig. Lange halte ich das nicht aus. Das Mädchen dreht sich um ihre eigene Achse und sagt lachend: „Ich heiße Lisa. Und Gerry ist hier, hier bei Dir,“ sagt sie weiter und lächelt geheimnisvoll dabei, „hier steht Lisa-Gerry oder auch Gerry-Lisa, ganz wie Du möchtest Johanna.“ Ich verstehe immer noch nicht, was das soll und bitte sie inständig, mir doch zu erklären: „Was hat es mit dieser/diesem Lisa-Gerry bzw. Gerry-Lisa auf sich? Was ist das für ein Schwachsinn?“

„Um es kurz zu machen und um Dich nicht auf die Folter zu spannen, werde ich Dir jetzt sagen, dass ich Gerry bin. Er steht leibhaftig vor Dir!“ Ich bin eine Frau geworden Johanna. Vielleicht verstehst Du jetzt?!
Natürlich denke ich jetzt an früher zurück, als er mit den Mädchen herum hing und sich auch manchmal so merkwürdig verhielt, zickig und mädchenhaft. Mir wird klar, dass ich gar nicht soooo falsch lag, als ich dachte, er sei schwul oder stecke in einem für ihn fremden Körper.

Jetzt musste ich erst einmal schlucken, denn das war eine Neuigkeit, die schwer, sogar sehr schwer zu verdauen war. Ich habe meinen Gerry zurück, aber anders als ich ihn in Erinnerung hatte. Trotzdem stellte sich wieder das selbe Gefühl ein, wie damals, als wir noch zusammen waren.
„Das kann und darf nicht sein!“ sage ich mir, „das würde bedeuten, dass ich lesbisch bin.“ „Nein“, sage ich zu Lisa, „das kann nicht wahr sein!“


Glaube, Liebe, Hoffnung : Glaube, liebe Hoffnung !

Sonnenstrahl  
Sonnenstrahl
Beiträge: 532
Registriert am: 15.04.2011


RE: Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte

#19 von Sonnenstrahl , 24.09.2021 13:49

„Doch,“ sagt sie zu mir, „als Du damals Schluss mit mir gemacht hast, bin ich in eine andere Stadt gezogen. Mich hat hier nichts mehr gehalten, außerdem habe ich den starken Drang gehabt, mich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, damit ich endlich mit mir selbst klarkomme. Du weißt vielleicht, dass das Jahre dauern kann, bis ein Mann sich wirklich wie eine Frau fühlt und wie sie denkt und handelt. Außerdem hatte ich noch Sitzungen bei der Psychotherapie, bis ich mir sicher sein konnte, dass ich das Richtige gemacht habe.
Ich habe mich hier aus Scham sehr, sehr lange nicht blicken lassen. Meine Eltern wussten nichts davon, also musste ich zu ihnen, um ihnen das alles zu erklären. Da gingen auch ein paar Monate drauf, bis sie es wirklich verstanden haben.
Dir das zu erklären, wäre einfach gewesen. Das wusste ich bereits, als wir noch zusammen waren. Du warst immer so verständnisvoll und hilfsbereit, und trotzdem brachte ich den Mut nicht auf, Dir das zu beichten. Deshalb habe ich geschwiegen und mich immer mehr vor Dir zurückgezogen, bis es zum Bruch kam. Vielleicht habe ich es auch darauf angelegt, unbewusst, ich weiß es nicht, ich kann es Dir nicht sagen.“

„Lass mich bitte in Ruhe alles überdenken Lisa, schon allein der Name kommt mir nicht ganz einfach über die Lippen. Ich brauche Zeit, die Du mir geben musst. Ich kann nicht so tun, als ob Gerry Vergangenheit ist und Lisa die Gegenwart, so schnell kann ich nicht umschalten, tut mir leid. Ich arbeite morgen bei meinem Vater in der Firma und brauche heute die Zeit für mich allein. Verstehst Du? Ob ich mit Dir befreundet sein kann? Ich kann es Dir nicht sagen Lisa, sorry. „


Glaube, Liebe, Hoffnung : Glaube, liebe Hoffnung !

Sonnenstrahl  
Sonnenstrahl
Beiträge: 532
Registriert am: 15.04.2011


RE: Geschichten, die das Leben geschrieben haben könnte

#20 von Sonnenstrahl , 24.09.2021 13:50

Ich wende mich ab und lasse sie allein. Es tut mir leid für sie, aber was soll ich machen? Ich muss morgen früh fit sein. Ich setze mich auf einen Stein, nahe am See, lasse die Sonne auf mein Gesicht scheinen, spüre die Wärme, die so gut tut und bin trotzdem aufgewühlt bis zum geht nicht mehr. „Ist das eine glückliche Fügung? Soll es so sein, dass sich mein ehemaliger Freund Gerry hat umwandeln lassen in eine Frau, damit ich mich zum Mann umwandeln lasse? Vielleicht würde so die Beziehung mit ihm wieder funktionieren. Was sind denn das für Gedanken?“, frage ich mich, „so abstrus.“ Also, für heute hatte ich genug. Ich ging noch einmal um den See und dann in meine Stammkneipe, die auf dem Weg nach Hause liegt.

Peter´s Pilsstube heißt sie und der Besitzer ist einer meiner Freunde. Er ist letzte Woche 41 Jahre alt geworden und das haben wir alle kräftig gefeiert. Das Bier floss in Strömen, Peter hat die Kurzen dazu spendiert. Es war eine feuchtfröhliche Nacht und ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. Erinnerungen kommen hoch. Was haben wir hier nicht alles schon gefeiert? Beerdigungen, Hochzeiten, Geburtstage. Gründe zum Feiern lassen sich immer finden. So wie auch jetzt wieder. Es war am späten Nachmittag als ich zu Peter ging. Allzu lange durfte ich mich hier nicht aufhalten, sonst würde ich frühmorgens nicht wach werden, um arbeiten zu gehen.
Vor lauter Ärger auf den ganzen Tag lasse ich mich voll laufen. Ich bestelle zwei Bier auf einmal. Das eine trinke ich gegen den Durst, also zügig, das andere ging dann schon nicht mehr ganz so schnell runter. Ich merke schon, wie es mir gar nicht gut bekommt und trotzdem bestelle ich mir noch eins, sozusagen als Wegzehrung für den Weg nach Hause. Nach dem dritten Bier ist mir alles egal, ich trinke weiter und weiter. Noch sitze ich allein am Tisch, allerdings sitzen an anderen Tischen ein paar Bekannte, die mit mir anstoßen wollen. Also mache ich die Runde, von Tisch zu Tisch gehe ich und bleibe bei allen ein paar Minuten sitzen und quatschen. Bier konnte ich jetzt keins mehr trinken, also bestelle ich mir eine Weißweinschorle. Jetzt sind wir eine ganz nette Runde am Tisch und ich will nicht mehr nach Hause gehen.

An den Weg nach Hause kann ich mich nicht erinnern. Dafür waren es zu viele Bier und viel zu viele Weißweinschorle gewesen. Ich weiß nur noch, dass ich – und das ist so typisch für mich, jemandem meine Schorle auf die Hose gekippt habe und, während ich mich bei ihm entschuldigt habe, einer anderen Frau, die Zigarette auf ihr Kleid fallen ließ. Missgeschicke kommen immer paarweise bei mir.Daran kann ich leider nichts ändern. Ich könnte allerdings versuchen, nicht mehr ganz so viel zu trinken.


Glaube, Liebe, Hoffnung : Glaube, liebe Hoffnung !

Sonnenstrahl  
Sonnenstrahl
Beiträge: 532
Registriert am: 15.04.2011


   


Xobor Einfach ein eigenes Xobor Forum erstellen
Datenschutz